Christlicher Glaube an Jesus, den Christus, und der Universalismus des Christentums
von Claus J. Braun

I. Vorbemerkung

Das angegebene Thema ist sehr umfassend formuliert. Christlicher Glaube an Jesus, den Christus, stellt sich ja in verschiedenen Denominationen und in verschiedenen theologischen Schulen sehr unterschiedlich dar. Und: "Universalismus" wird z. B. in der Vorstellung vom Kosmokrator in einer orthodoxen Christologie "von oben" völlig anders gesehen als in dem Entwurf einer lateinamerikanischen Christologie "von unten". D a s Christentum gibt es nicht, sondern verschiedene Ausprägungen christlichen Glaubens. Es soll nicht Sinn dieses Referates sein, verschiedenste christologische Entwürfe darzustellen und zu vergleichen. Ich konzentriere mich darauf, im Rahmen dieses christlich-jüdischen Gesprächs aus meiner Sicht eines protestantischen Theologen aus der EKHN, der versucht, ökumenisch offen zu leben, zu sprechen von meinem Glauben an Jesus, den Christus, und davon, in welcher Weise dieser christliche Glaube sich auf die Völkerwelt erstreckt. Ich werde sprechen von Überzeugungen, die ich - gemeinsam mit anderen - habe und von Fragen, die mich umtreiben.

II. Einige Aspekte zum Universalismus innerhalb meines christlichen Glaubens an Jesus, den Christus

1. Es ist eine weitverbreitete, aber grundlegend falsche Meinung, das Judentum sei partikularistisch, nur auf sich, seine eigenen Interessen bezogen; das Christentum hingegen sei universalistisch, habe also die ganze Welt im Blick und habe damit als Volk des Neuen Bundes das Judentum als Volk des Alten Bundes abgelöst.

Z. B. Heinrich Ott: Die Antwort des Glaubens 1972:

"Bei der Begegnung mit der Bibel, beim Lesen und Predigen über biblische Texte, tritt uns der charakteristische Unterschied zwischen dem Alten und dem Neuen Testament vor Augen: zwischen ihrem jeweiligen Gottesverständnis. Jahwe des Alten Testamentes ist ein partikularistischer Volksgott, welcher stark menschliche Züge trägt (Reue, Rache, Eifersucht usw.), der mit einem bestimmten Volk und nur mit diesem verbündet ist und als Kriegsgott mit ihm in den Krieg zieht. Erst nach und nach, in den späteren alttestamentlichen Schriften, wird dieses Gottesbild allmählich vergeistigt, und es wachsen dem ursprünglichen Volksgott mehr universalistische Züge zu. Der Gott Jesu dagegen, der Gott des Neuen Testamentes, ist der Vater aller Menschen, der Schöpfer des Alls, welcher zu heilig und streng, im letzten Grunde aber die Liebe selber ist."


Diese Beschreibung wird in keiner Weise dem Befund im Judentum gerecht. Auch das Judentum ist universalistisch ausgerichtet: z. B. In der Mitte der hebräischen Bibel steht der Bericht vom Exodus; von ihm her wird das Handeln Gottes ausgezogen in die Vergangenheit hin bis zur Schöpfung der Welt und in die Zukunft hin bis zur Erneuerung der Welt in der Völkerwallfahrt zum Zion. Christlicher Glaube an Jesus, den Christus, ist Erbe dieses universalistischen Ansatzes im Judentum. Von der Mitte der Fleischwerdung Gottes in Jesus wird der Blick ausgerichtet nach vorne hin, z. B. im Johannesprolog auf den Anfang: "Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe geworden ...: "; (Joh 1,1-3) und der Blick wird nach hinten gerichtet auf das Werden eines neuen Himmels und einer neuen Erde (Offenbarung 21). Ja, wenn aus geschichtlicher Erfahrung von der Gefahr eines Partikularismus zu sprechen ist, dann wäre eher von einem Christentum zu sprechen, das in der Gefahr steht, Gottes Handeln allein in der Kirche am Werk zu sehen.

2. Es ist christliche Überzeugung: Mit dem Auftreten des Juden Jesus, seinem Kreuzestod und seiner Auferweckung wird bewußt und ausdrücklich die Liebe Gottes für alle Menschen angeboten. In Römer 15,8.9 a, einer Zusammenfassung der Christologie des Paulus, heißt es:

"Ich meine nämlich, daß Christus Diener der Beschnittenen geworden ist der Wahrhaftigkeit Gottes wegen, um die Verheißungen an die Väter zu bestätigen, daß aber die Heiden Gott preisen müssen wegen der ihnen widerfahrenen Barmherzigkeit ..."

Paulus entwirft hier das Modell einer engen Verkoppelung zwischen Christus/Messias, Volk Gottes und Völkern. Grundlegend für dieses Modell ist, daß in dem Dienst des Christus/Messias an Israel die Treue Gottes zu seinem Bundesvolk sich erfüllt und die Gnade Gottes gegenüber den Völkern sich eröffnet. Der den Vätern für das Volk Gottes verheißene Christus/Messias schließt die Völker in das Heil Gottes ein, um sie so zusammen mit dem Volk Gottes zum universalen Gotteslob zu führen.

In Epheser 2,11-22 wird die Gemeinde daran erinnert, daß sie durch Christus Jesus aus der völligen Ferne in die Nähe Gottes gelangt sind (Vers 13). Dadurch wird die heidenchristliche Gemeinde in Zusammenhang gebracht mit Israel, seinem Gottesverhältnis und seiner Verheißungsgeschichte. "Einst" gehörten sie "im Fleisch" zu den Völkern. Als solche waren sie "ohne Christus/Messias", standen "außerhalb der Bundesschlüsse der Verheißungen". (Vers 22 f.). "Jetzt aber" sind sie "nicht mehr Fremde und Beisassen, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes" (Vers 19).

Wenn auch in vielen Punkten der Glaube Israels und die christliche Botschaft einander entsprechen, so gibt es im christlichen Glauben doch drei Aspekte, die neu sind gegenüber dem, was das Gottesvolk Israel erfährt:

- neu ist der Glaube der Christen, die in Jesus von Nazareth den Messias Israels erkennen;
- neu ist der Glaube der Christen, die bekennen, daß die messianische Zeit in Jesus und mit seinen Nachfolgern - die nicht nur "Herr, Herr" sagen, sondern entsprechend leben - angefangen hat;
- und neu ist, daß mit Jesus von Nazareth die Völker ausdrücklich angesprochen und eingeladen sind, daß also das Gottesvolk Israel um Mitarbeiter aus den Völkern erweitert wird. Die Völker werden in die Verheißungsgeschichte Israels eingebunden. Durch die Taufe werden Menschen aus der Völkerwelt Mit-Erben der Erwählung und Mit-Teilhaber an der Verheißungsgeschichte Israels (s. Epheser 3,6).

3. Im Missionsbefehl am Ende des Matthäusevangeliums schickt ein Jude elf andere Juden in alle Welt mit folgenden Worten: "Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende." (Matthäus 28,18-20)

Hier wird deutlich: "Macht zu Jüngern alle Völker", also: Auch den Völkern ist die Kraft Gottes als Heil zugänglich . Und: "lehrt sie halten, alles, was ich euch befohlen habe": Was Jesus befohlen hatte, versteht er - am deutlichsten in der Bergpredigt - als konkretisierende und radikalisierende Auslegung seiner Bibel, also der Thora, von der kein Jota ungültig ist (Mattthäus 5,19). Die Umkehr ist notwendig, weil das messianische Reich angebrochen ist.

Der Ruf zur Umkehr spricht die jüdische und die christliche Gemeinde immer unter Bezug auf den von Gott mit den Menschen abgeschlossenen Bund oder auf die Hoffnung auf eine Erneuerung von Himmel und Erde an. Vom Exodus eines Sklavenvolkes aus Ägypten bis zur Befreiung aller Mühseligen und Beladenen ist der Ruf zur Umkehr der ständige Begleiter von Juden und Christen.

Also auch für Christen, die in die Verheißungsgeschichte Israels eingebunden sind, gilt die Thora. Jesus hat seine Sendung von der Thora Israels her verstanden: "Ich bin nicht gekommen, die Thora aufzulösen, sondern zu erfüllen" (Matthäus 5,17). Thora meint: Wegweisung, Orientierungshilfe, Ruf zur Umkehr, verantwortliches Gehen eines Weges. Heinz Kremers formuliert: "Nachdem die Flucht den Sklaven aus Ägypten gelungen ist, erfährt Mose, daß Befreiung allein nicht genügt, damit ein Leben in Freiheit verwirklicht werden kann. Freiheit muß gestaltet werden. Die Gestalt der Freiheit erleben die aus Ägypten geflohenen Sklaven fundamental am Berg Sinai. Israel muß mit Hilfe der Wegweisung seines Gottes weitergehen, ein Gemeinwesen aufbauen, in dem es Solidarität und Gerechtigkeit verwirklichen soll."

Aufgrund von Jesu Thora-Auslegung in der Bergpredigt ist auch die Christengemeinde aufgerufen, den Weg der Weisung zu Gerechtigkeit, Frieden und Erneuerung der Schöpfung zu gehen. Die Thora als Wegweisung auf dem Weg zur Freiheit des kommenden messianischen Reiches Gottes bleibt auch für Christen wichtig.

4. Matthäus 11,2-6 berichtet von der Anfrage des inhaftierten Täufers Johannes an Jesus: "Bist du, der da kommen soll oder sollen wir eines anderen warten?" Jesus antwortet dem Johannes nicht mit einem Messiasbekenntnis oder einem Christusdogma. Er verweist auf die Zeichen des nahen Gottesreiches. Es sind öffentliche Zeichen von Veränderungen in der Wirklichkeit der Geschichte: Kranke werden geheilt, Tote auferweckt, Befreiung von Schuld/en, Armen wird die frohe Botschaft verkündet. Selbstverständlich gelten für Jesus biblische Maßstäbe, wenn es zu beurteilen gilt, ob das neue Zeitalter angebrochen sei. Jesus verweist auf Geschehnisse, die für den Anbruch der messianischen Zeit verheißen sind (s. z.B. Jesaja 61,1 f und 58,7-12).

Auch wir in der Christenheit stehen heute vor der Frage, auf welche Zeichen des neuen Lebens und der veränderten Realität wir verweisen können. Ein Jude fragt: "Ihr Christen sagt, daß der Erlöser gekommen ist, seit langem. Euch gehört die Welt, euch die Macht seit 2000 Jahren. Habt ihr die Schwerter zu Pflügen umgeschmiedet, weidet das Lamm ruhig neben dem Löwen? Euer ist die Welt, sie ist voll des Mordens - warum?" Als Christen müssen wir eingestehen, daß sich durch unseren Glauben an Jesus, den Christus, so wenig in unserem Leben und in dem Leben der Welt in positiver Hinsicht geändert hat. Auch wenn wir darauf hinweisen, daß mit Jesus das Reich Gottes zunächst nur begonnen hat, und noch nicht vollkommen erschienen ist, bleibt die grundsätzliche Frage an unser Christusbekenntnis und unsere Christusnachfolge. Es gibt kein Christusbekenntnis ohne Christusnachfolge. "Herr, Herr" sagen nützt nichts, seinen Willen tun - darum geht es. Und daran mangelt es so häufig.

Wichtig ist, daß wir Christen immer wieder neu unser Selbstverständnis an dem Selbstverständnis Jesu Christi orientieren. Für meinen Glauben an Jesus, den Christus, ist der Philipper-Hymnus, eines der ältesten Bekenntnisse der ersten Christen, grundlegend wichtig:

"Ein jeglicher sei gesinnt, wie Jesus Christus auch war: welcher, ob er wohl in göttlicher Gestalt war, nahm er's nicht als einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward gleich wie ein andrer Mensch und an Gebärden als ein Mensch erfunden. Er erniedrigte sich selbst und war gehorsam bis zum Tod, ja bis zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, daß in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, daß Jesus Christus der Herr sei, zur Ehre Gottes, des Vaters". (Philipper 2,5-11).

Aufgrund dieses Philipper-Hymnus ist für mich eine "Christologie von unten" angemessen, eine Christologie, die ansetzt bei der Kenosis Jesu Christi. Wo das geschieht, hat das Konsequenzen: Z. B. Das Zeugnis für Jesus Christus kann nicht in einer Haltung von oben herab gelebt werden, wenn es in seiner Nachfolge geschieht. Christen sind nicht Menschen, die das Heil haben und darüber verfügen. Sie sollten sich nicht scheuen zuzugestehen, daß sie in ihrer eigenen Nachfolge stets vom Scheitern bedroht sind und selber immer von neuem die Zusage und Vergewisserung der Vergebung brauchen, gerade weil sie zu Christus gehören und von ihm angenommen sind. Die Gemeinde Jesu Christi kann ihren Weg der Nachfolge nur so gehen, daß ihre Glieder sich immer neu zur Vergebung, Umkehr und zum Vertrauen auf Gott rufen lassen.

Der auferstandene Jesus Christus begegnet uns als der Gekreuzigte, der für uns starb. Deshalb gehört es zur Nachfolge, daß auch wir das Kreuz auf uns nehmen und wie er auf eigene Macht verzichten. Nachfolge führt zur Bereitschaft, anderen zu helfen, auch wenn und wo dies zur Folge haben mag, daß man selber Nachteile einstecken muß. Die Kraft des Zeugnisses von Jesus Christus läßt sich an andere nur vermitteln, wo wir in der Bereitschaft, ihnen zu dienen, für sie verwundbar und zum Leiden bereit werden. Das schließt zweierlei ein: Ich werde in der Weitergabe des Zeugnisses vom Gekreuzigten offen, mich verletzen zu lassen und weigere mich, Druck oder Macht auszuüben. Ich folge Jesus Christus darin nach, daß ich bereit werde, mich auch unter schwierigen Bedingungen für Wahrheit und Gerechtigkeit einzusetzen und ggf. zu leiden. In diesem Sinn benutzt das Neue Testament als Wort für das Zeugnisgeben "martyrein".

Wo Christen so verwundbar werden, bezeugen sie Jesus Christus, der sich für alle Menschen am Kreuz verwunden ließ, und erfahren, daß sich darin die Kraft und Wahrheit Gottes erweist.

Ich möchte dieses deutlich machen an einem Text über Begegnung mit Menschen anderen Glaubens:

"Jede Begegnung mit denen, die einen anderen Glauben haben und die anders leben, kann Ängste auslösen: bei uns und bei den anderen.

Jede derartige Begegnung bringt das Risiko von Veränderungen mit sich: Dort, wo es um die Fundamente des Lebens geht, des eigenen Lebens, aber auch das der anderen.

Weil das so ist, weil das schon seit Jahrhunderten so ist, nicht erst seit gestern und heute - haben sich Menschen in diesen Begegnungen unsagbar viel Schmerzen zugefügt. Sie haben sich Wunden, vielfach tödliche Wunden geschlagen, aber sie sind auch verwunndet worden. Generationen von Menschen konnten das nicht vergessen.

Die Geschichte der Kirche beweist es:
Im Grauen der Kreuzzüge und der Inquisition,
im Schrecken der Ketzerverbrennungen und Judenverfolgungen
wurden Menschen verachtet,
ihrer Eigenständigkeit und ihrer Rechte beraubt.
Es wurden Menschen gequält und vertrieben,
gefoltert und verbrannt.
Christen haben zugelassen, daß Frauen und Männer, Junge und Alte
in der Hölle des Holocaust ermordet wurden.

So ist es von je her gewesen:
Wer sich nicht verwunden lassen wollte, der hat Wunden geschlagen.
Wer sich nicht in Frage stellen lassen wollte,
der hat die Fragenden verjagt und beseitigt.

Bis heute zeigt sich in diesen Begegnungen,
ob Liebe lediglich nur gepredigt wird oder ob wir sie leben.
Bis heute zeigt sich in diesen Begegnungen,
ob die vollkommene Liebe die Furcht ausgetrieben hat.
Bis heute zeigt sich in diesen Begegnungen,
ob wir Wahrheit und Liebe beieinander halten.
Bis heute zeigt sich in diesen Begegnungen,
ob wir uns verwunden lassen.

Am Kreuz werden die Bilder von einem unverwundbaren Gott zunichte gemacht: Jesus Christus ließ sich verwunden bis zum Tode am Kreuz. In seiner Nachfolge lernen wir verzichten auf das, was unter Mächtigen und Herrschern gilt.

In seiner Nachfolge lernen wir verzichten auf Rechthaberei und Vorrechte.

Wenn wir an den Tisch dieses Gekreuzigten treten, erinnert er uns mit dem Zeichen von Brot und Wein an seine eigene Verwundbarkeit. Er lädt uns dazu ein, von seinem Tisch hinauszugehen als Menschen,
die sich lieber verwunden lassen,
als Wunden schlagen."

(Aus: Die Begegnung von Christen und Muslimen, 1988, S. 50 f)

Ich möchte in diesem Sinn meinen Glauben an Jesus, den Christus, leben, gemeinsam mit anderen, die Liebe Gottes bezeugen in der Nähe und gemeinsam mit anderen für die in der Ferne.

III Aussichten

1. Die Juden und Christen gehören zu dem einen Gottesvolk, das Gott sich erwählt hat. Es ist ein "gespaltenes Gottesvolk". Warum dieses Gottesvolk gespalten ist, das ist Gottes Geheimnis. Aber am Ende wird Gott es auf wunderbare Weise zur Einheit führen.

Christen und Juden - das sind Verbündete, weil gemeinsam im Bund Gottes lebend. Sie sind Geschwister, weil unter dem einen Vater lebend, sicher verschiedene Geschwister, recht verschiedene Geschwister, aber doch solche, die vom Vater her das Entscheidende gemeinsam haben, und gemeinsam Entscheidendes der Welt zu sagen haben:

- den Glauben an denselben Gott, den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs; Jahwe ist derselbe wie der Vater Jesu.
- Christen und Juden vertrauen auf denselben Gott, der seine Güte und Gerechtigkeit allen zusagt, allen in der ganzen Welt;
- sie glauben, daß Liebe, Gerechtigkeit und Gebet Weisungen Gottes für ihr ganzes Leben sind, und wichtig für alle Menschen;
- sie hoffen auf einen neuen Himmel und eine neue Erde und wollen in der Kraft dieser Hoffnung für Schalom, für Gerechtigkeit und Frieden in dieser Welt arbeiten.

Dieser Glaube und diese Hoffnung und dieses Engagement in der Weltverantwortung verbinden Juden und Christen, auch wenn der erwartete Messias für die einen der kommende und für die anderen der wiederkommende ist.

2. Der biblische Universalismus ist in erster Linie theozentrisch: der eine Gott steht im Mittelpunkt.

a) Im jüdischen Glauben: Das Bekenntnis zur Einzigkeit Gottes gilt nicht allein für Israel, sondern umschließt alle Völker. Durch die Schöpfung und den Noahbund sind sie alle in das Heilshandeln Gottes hineingenommen, und Gott selbst wird die Völker am Ende der Zeit aus allen Himmelsrichtungen versammeln und Gottes Herrschaft aufrichten.

b) Im christlichen Glauben: Gott wird am Ende alles in allem sein, nicht Jesus, nicht seine - wenn sie es denn ist - irdische Existenz - und Wirkform, die Kirche, nein der eine Gott, der seinen Namen zuerst in Israel bekanntmachte und ihn durch Jesus allen Völkern bekanntmachen will (1 Korinther 15,22-28, 15,28; Matthäus 28,19f).

c) Von daher: Im Vertrauen darauf, daß Gott abwischen wird alle Tränen, daß der Tod nicht mehr sein wird, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz (Offenbarung 21,4), daß Schwerter in Pflugscharen verwandelt werden und Gewalt ein Ende haben wird, können wir mit unseren Kräften daran gehen, das Unsere dazu beizutragen, daß Gottes Herrschaft, die mit Jesus Christus angebrochen ist, sich auch unter uns ausbreitet.

Als Zeugen Gottes werden wir versuchen zu leben, was wir glauben, werden wir versuchen, glaubwürdig inmitten des Elends und der Widersprüche unserer Zeit präsent zu sein, werden wir versuchen, Befreiung und Schalom, Gerechtigkeit und Liebe in dieser Welt bekanntzumachen und zu verwirklichen.

3. Suche nach einem neuen ökumenischen Paradigma (Orientierungsrahmen)

a) In der ökumenischen Bewegung suchen wir nach einem neuen Orientierungsrahmen, innerhalb dessen es uns besser gelingt, christliches Bekenntnis zu Jesus, dem Christus, in unserer heutigen Zeit glaubwürdig zu leben. Philipp Potter hat in der Auslegung des Bildes vom "Haus der lebendigen Steine" (1 Petrus 2,4 ff) eine Vision von der Gemeinschaft der Kirchen in der ökumenischen Bewegung entworfen: "Die ökumenische Bewegung ist das Mittel, durch das die Kirchen, die das Haus (oikos) Gottes bilden, versuchen, vor allen Völkern so zu leben und Zeugnis abzulegen, daß die Umwandlung der ganzen Oikumene in den Oikos Gottes durch den gekreuzigten und auferstandnenen Christus kraft des lebensspendenden Geistes Wirklichkeit werde." (Bericht aus Vancouver 1983, S. 216 f).

Das Haus, das sich aus den in der ganzen Welt verstreuten Kirchen zusammensetzt, ist eine Gemeinschaft des Bekennens, des Lernens, des Teilhabens und das miteinander Teilens, eine heilende Gemeinschaft, eine Gemeinschaft der Versöhnung, eine Gemeinschaft in Einheit und eine Gemeinschaft der Erwartung. Wir suchen danach, wie diese Vision von der Gemeinschaft der Kirchen in der ökumenischen Bewegung gelebt werden kann.

b) Gegen bestehende politische und wirtschaftliche Strukturen in unserer Welt, die die Vorherrschaft der Stärkeren und Mächtigeren über die Abhängigen und Schwächeren erhalten und durchsetzen, gilt es, eine "Ökumene der Solidarität" zu leben. Sie rechnet mit der Wirklichkeit Gottes, der gemeinsames Leben durch Versöhnung, Teilen und Solidarität schaffen will. Der Durchsetzung eigener Macht und eigenen Vorteils stellt sie im Geist des Evangeliums eine andere Haltung entgegen, die der Solidarität:

- ökumenisch, solidarisch ausgerichtete Kirche - das ist eine Kirche, die solidarisch die Bemühungen um Gerechtigkeit von Unterdrückten und ihren Bewegungen unterstützt;
- sie wird sich dafür einsetzen, daß Handlungen, die Ungerechtigkeit erzeugen oder unterstützen, eingestellt werden;
- sie wird gemeinsam mit Schwestern und Brüdern aus anderen Kirchen Grundregeln einer teilenden Gemeinschaft in den Beziehungen zwischen Christen und Kirchen in der Welt bestimmen und einüben. Wir versuchen, als solch ökumenisch-solidarische Kirche zu leben, in der EKHN und EKD sehr unvollkommen.

c) Gott als Bundespartner Israels ist der Garant für die Lebensordnung des Haushaltes Israels und der ganzen Schöpfung. Gott wohnt selbst im "Haus Israel" (Exodus 25,8). Die christliche Gemeinde bezeugt die Gegenwart Gottes durch den Geist (1 Korinther 3,16). - Wo Gott das Haus verläßt, wo Gott hinausgedrängt oder durch andere Götter ersetzt wird, verwandelt sich das Haus der Freiheit in ein Haus der Knechtschaft. Angesichts von Herrschaft und Unterordnung sind die Beziehungen zwischen gleichen und freien Hausgenossen verwandelt in Strukturen der Unterordnung und der Abhängigkeit. Daher ist es wichtig, daß die befreiende Gegenwart Gottes in der messianischen Verkündigung Jesu nicht nur unter dem Bild des "Reiches" oder der "Herrschaft" Gottes erscheint, sondern auch im Gleichnis des Hausvaters, des Gastgebers in einem großen Haus; ja Gott, der Herr und Besitzer des Hauses, nimmt in Jesus Christus die Gestalt eines Dieners, eines Sklaven im Haushalt an, um denen nahe zu sein, die aus dem Haus ausgegrenzt worden waren.

Da Jesus den Herrn des kommenden Reiches als seinen Vater erkennt und verkündet, erhält die Botschaft vom Reich Gottes eine völlig neue Qualität. Jesus verkündet nicht das Reich Gottes, des Herrn, sondern das Reich Gottes, seines Vaters. Nicht Herrschaft prägt die Vaterschaft Gottes, sondern umgekehrt prägt die Vaterschaft Gottes gegenüber Jesus dem Sohn die Herrschaft und das Reich, das Jesus verkündigt. Die Basileia gibt es nur im Bereich der Vaterschaft Gottes. In diesem Reich ist Gott nicht Herr, sondern barmherziger Vater. In diesem Reich gibt es keine Knechte, sondern nur freie Kinder Gottes. In diesem Reich wird nicht nach Gehorsam und Unterordnung, sondern nach Liebe und freier Teilnahme gefragt.

Die so im Glauben vollzogene Umwertung aller Herrschaftsstrukturen ist in Markus 10,42 ff ausgesprochen: "Ihr wißt, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein." Wir sind in der ökumenischen Bewegung dabei, theologisch neu nachzudenken über "Herrschaft Gottes", was das für unsere Sprache und für unser Leben bedeutet.

d) Alle, die teilhaben an der Eucharistie, sind der Leib Christi. Die Eucharistie verwirklicht, wenn immer die Vielen zusammenkommen, um das eine Brot zu brechen, was in der Taufe begründet ist: "Denn wir sind durch einen Geist alle zu einem Leib getauft, wir seien Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geist getränkt" (1 Korinther 12,13).

Wir versuchen - besonders seit Erscheinen der Lima-Dokumente - die zentrale Bedeutung der Eucharistie für das kirchliche Leben, für das ökumenische Leben, für den Weltbezug christlichen Glaubens (universal character) neu zu entdecken und zu leben. Wir erkennen: Die Teilhabe an der Eucharistie bedeutet zweierlei:

- Die Teilhabe an Jesus Christus in der Eucharistie heißt Teilhabe an seiner Geschichte. Jesus Christus weist uns unseren Ort zu, bei denen, mit denen er Gemeinschaft hatte, den Sündern, den Armen, denen am Rande ..., daß wir ihnen zum Leben helfen und das neue Leben in Gott bezeugen,
- die Teilhabe an der Eucharistie heißt auch Teilhabe an der neuen Schöpfung, an der eschatologischen Kraft des neuen Lebens. Sie macht deutlich und bewirkt das Einssein der hier Teilhabenden mit Christus und miteinander, sie stärkt die Teilhabenden und verstärkt in ihnen die Sehnsucht nach Versöhnung und Gemeinschaft mit allen Menschen und die Suche nach angemessenen Beziehungen im sozialen, wirtschaftlichen und politischen Leben.

IV Schluß

An dieser Stelle breche ich meine Darlegungen ab. 'Christlicher Glaube an Jesus, den Christus, und der Universalismus des Christentums" - ein umfangreiches Thema. Einige Aspekte und Fragen im Blick auf die Zukunft unseres gelebten Glaubens habe ich genannt.

Es ist für den christlichen Glauben an Jesus, den Christus, wichtig wahrzunehmen, daß die Verheißungen Gottes dem Einzelnen gelten wie der ganzen Welt. Der universale Horizont gehört zu unserem Glauben hinzu:

- So sehr hat Gott die Welt (!) geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. (Joh 3,16)
- Darum gehet hin und macht zu Jüngern alle Völker (!)... (Mt 28,19).

Wir fassen es in der ökumenischen Bewegung manchmal so zusammen:

global denken - lokal handeln

Darum geht es, daß der Horizont der Einen Welt unser Denken und Handeln, unser Beraten und Entscheiden vor Ort mitbestimmt. Daß wir erkennen, daß Jesus Christus uns auch in den Bedürftigen dieser Welt, den Hungernden, den Gefangenen, den Fremden und Flüchtlingen, entgegentritt und herausfordert. Er sagt sogar: 'Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Geschwistern, das habt ihr mir getan' (Mt 25,40).

Also: Unser Bekenntnis zu Jesus, dem Christus, ereignet sich auch in unserem konkreten Verhalten gegenüber bedürftigen Nächsten in der Nähe und in der Ferne. Jesus Christus beauftragt uns und verheißt uns, Salz der Erde und Licht der Welt zu sein (Mt 5, 13-16).

Vortrag gehalten im Rahmen des Seminars des Shalom-Hartmann-Institutes (Jerusalem) und des Evangelischen Arbeitskreises Kirche und Israel in Hessen und Nassau "Messianic Expectations" im November 1992 in Jerusalem

aus: Materialdienst 2/1993

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